Wortverbindungen fangen Träume ein
Therese Chromik präsentiert Gedichte :“Im launigen Rhythmus des Himmels“
Von Erhard Jöst
Gedichte haben es schwer. Bertolt Brecht beklagte die „Schlechte Zeit für Lyrik“, an der die politischen Verhältnisse Schuld seien: „In mir streiten sich / Die Begeisterung über den blühenden Apfelbaum / Und das Entsetzen über die Reden des Anstreichers. / Aber nur das zweite / Drängt mich zum Schreibtisch.“ Aber auch in „guten“ Zeiten, in denen die Dichter nicht gegen eine Diktatur anschreiben müssen, muss die Lyrik hinter den anderen Gattungen zurückstehen, jedenfalls in der Gunst der Leser. Therese Chromik veranschaulicht dies in ihrem Gedicht „Lesung umsonst“ amüsiert anhand einer Episode. Ein kleiner Interessentenkreis wartet auf die Lyriklesung im Schloss, als sich kurz vor deren Beginn noch ein „versprengter Besucher“ einfindet. Sein Besuch stellt sich als Irrtum heraus, denn er wollte zur „Kriminacht im Rittersaal“, die aber erst eine Woche später stattfindet. Und da er mit Gedichten „nichts am Hut“ hat, muss er sich eingestehen, dass er „ganz umsonst gekommen“ ist, und verlässt enttäuscht den Ort.
Auch andere Schwierigkeiten, die sich einem „Naturdichter“ in den Weg stellen, zeigt Chromik in Gedichtform humorvoll auf. Wie gerne möchte der „Naturdichter heute“ wie Werther „im hohen Grase liegen (…) und dichten“, aber da er sich nicht retten kann „vor dem Surren um den Kopf / den Stichen in Arme und Beine“, zieht er sich „in den hintersten Winkel des Hauses“ zurück, um zu „träumen und schreiben / vom Glück in der Natur“.
Therese Chromik hat unter dem Titel „…im launigen Rhythmus des Himmels…“ einen neuen Gedichtband vorgelegt, der dem Leser eine überaus abwechslungsreiche Unterhaltung mit Tiefgang bietet. Seit 1983 publiziert sie Gedichte, von denen einige ins Polnische übersetzt worden sind. Sie erhielt für ihre Lyrik verschiedene Auszeichnungen (unter anderem von der GEDOK) und Stipendien, zuletzt wurde ihr im Jahr 2012 der Nikolaus-Lenau-Preis verliehen. Die in Kiel lebende gebürtige Schlesierin setzt sich vor allem mit den Themenbereichen Natur und Umwelt, Glaube und Liebe auseinander. In ihrem 2010 veröffentlichten Lyrikband „Ich will glauben es sei Sommer“wandelte sie auf den Spuren von Joseph von Eichendorff (vgl. die Rezension in ÖGL, Heft 3/2010, S. 261 f.), in dem neuen Buch geht es unter anderem um den Schlaf, den „Flirt mit dem Tod“, und in besonderem Maße um den Traum, der „für den Tag“ gerettet werden soll.
Wie ihr Vorbild Hilde Domin legt Therese Chromik größten Wert auf das Wort. Sie ist stets auf der Suche nach ihm, das öfters – „umklammert von Tag und Vernunft“ – in Vergessenheit gerät: „Hin und wieder gehe ich / in den Keller und öffne / die Konserve Wort ob sich nicht / geheimer Geschmack darin befindet / der mich erinnert / an das Süß-Saure im Sommergarten / aus Kindertagen“. Sie möchte die Silben aufsammeln, die der Wind ausstreute. Sie verweist auf den Mann, der „auf der Insel / verlorene Wörter / aus altfriesischer Zeit“ sammelt und so „einen Sprachdeich / gegen das Vergessen“ baut. Sie liefert tröstliche Botschaften: „Im Traum falle ich / aber ich falle weich / im Traum verirre ich mich / aber ich finde den Ausgang“. Sie singt ein Loblied auf die Träume, die den Menschen bezaubern und beglücken. Sie warnt vor „Stolperfallen“, die Tagträume platzen lassen und verweist darauf, dass ein „Tagmensch“ ohne Träume „nur die Hälfte“ wert ist. Die Suche nach den „Nachtwörtern“ erfolgt stets aufs Neue: „Nachts wenn alles sonst schweigt / kommen die Wörter / aus dem Versteck / damit ich sie höre / die zu mir gehören“.
Viele Gedichte klingen wie Loblieder auf die Träume, in denen der Mensch eins wird mit der Natur. Traumbilder wecken mit ihren Farben, Düften und Klängen die Sinne und beleben die Menschen. Mit ihren Naturgedichten vermittelt Chromik die Stille, aber auch die Bedrohlichkeit, wenn der Goldregenbusch mit seinem giftigen Duft den Birnbaum lähmt. Sie beschreibt den Garten, in dem der grinsende Girsch sich „nicht beirren“ lässt und die Gärtnerin zur Einsicht bewegt, dass sie „ihn wachsen lassen sollte.“ Es gelingt ihr, mit eindrucksvollen Bildern die Gleichzeitigkeit widersprüchlicher Gefühle einzufangen, die Beruhigung und Beunruhigung des Wassers zu erfassen. Der Leser folgt ihr bei „Traumverlorenen Stadtführungen“, bei denen vergessene Geschichten „in den Mauern hocken“, und er geht mit ihr ins Watt, in dem „eine bleidunkle Wolke (schneeschwanger) auf ihre Stunde“ wartet. Oder er beschreitet mit ihr geheime Wege zu einem versteckt liegenden Haus, an dem nur der ankommt, „der das Rätsel löst“. Auf den Spuren von Rose Ausländer, Paul Celan, Bert Brecht und Rainer Maria Rilke bewegt sich Therese Chromik „zwischen den Zeilen“, und sie sucht das Bild zur Abbildung bei Emil Nolde. Denn: „Nur Kinder und Künstler hören / das Echo / und lieben das Rätsel“. Unermüdlich sucht sie nach Zugängen, an Türe klopfend, bedenkend, dass die Tür, die verschlossen bleibt, vielleicht „die richtige (wäre) die weiterführt“. Ohne erhobenen Zeigefinger gibt sie Ratschläge, wenn sie darauf verweist, dass Orpheus seine Geliebte und sein Lied verlor, weil er befangen war „in Zweifel und Sorge / sie könne ihm verlorengehen / auf dem Weg in diese Welt“.
Therese Chromik schreibt ihre Gedichte reimlos und verzichtet auch auf Satzzeichen. Die daraus folgende Irritation ist gewollt, zumal sie Spielräume gibt für eine unterschiedliche Zusammensetzung der Wörter und die daraus folgenden Assoziationen und Interpretationsmöglichkeiten wie bei dem Gedicht „Appell“:
„Soldat wenn es dir schwerfällt / den Feind zu töten weil du / den unschuldigen Menschen siehst / Frauen und Kinder hast du den Priester / der dir den Rücken stärkt / und sagt / Siehe es sind deine Feinde / spricht der Herr / du wirst sie töten / Gott will es“.
Auch in den Gedichten „Ernstfall“ und „Partielles Erinnern“ skizziert Chromik politische Entwicklungen und befragt sie nach den Konsequenzen. Zuweilen blitzt auch eine Brise Sarkasmus auf, wenn sie zum Beispiel in Bezug auf den Krieg in Afghanistan formuliert: „Man spricht vom Ende des Krieges / den man nicht geführt hat / nie wieder Krieg“.
Das Gedicht „Suizid“ prangert mit der Kontrastierung gesammelter Allgemeinplätze gekonnt die Oberflächlichkeit der Menschen und ihre unechte Betroffenheit an. Mit einem überraschenden Perspektivewechsel wartet das Gedicht „Nach der Renovierung“ auf. Mit dem „Verlust der Ausweise“ zeigt die Autorin, wie nahe Normalität und Absurdität beieinander liegen. Mit wenigen Sätzen zeichnet sie anschauliche Porträts von der Mutter und der Urgroßmutter. Präzise registriert sie die Veränderungen, die von einer neuen roten Mütze oder von einer Brille verursacht werden.
Fazit: Therese Chromiks Gedichtband nährt die Hoffnung, dass es auch gute Zeiten für die Lyrik geben kann. Jedenfalls ist dem Buch eine breite Leserschaft zu wünschen, denn es bietet den Lyrik-Liebhabern viele Anregungen und es kann sicherlich auch diejenigen, die mit Gedichten normaler Weise „nichts am Hut“ haben, für diese literarische Gattung gewinnen. Denn: „Der Hörer kann die Worte / füllen mit Traum und Gefühl / im Gedicht sein und dem Dichter nah / bar jeder Vernunft“.
Therese Chromik: …im launigen Rhythmus des Himmels…Gedichte, Weilerswirst (Verlag Ralf Liebe) 2012, 106 Seiten, ISBN 978-3-941037-86-1, 14 Euro
„Ich will glauben, es sei Sommer“
Therese Chromik
Die Themen ihrer Gedichte sind vielseitig und spiegeln die vielegestaltige Gedankenwelt der Autorin wider: Das moderne Leben hat in Therese Chromiks Werk ebenso seinen Platz wie die lyrische Auseinandersetzung mit Poesie, Natur, Umwelt oder Liebe. Und zu jedem dieser Themen findet die frühere Direktorin der Theodor-Storm-Schule ihren ganz spezifischen Zugang. Vor allem jedoch gelingt es der 67-Jährigen, tief greifende Eindrücke und existenzielle Betrachtungen mit Gelassenheit und einer Prise Humor zu paaren. So wie in dem Gedicht „Atemberaubend“: „Atemberaubend schön bist du, sagte er. – Dann hol noch einmal tief Luft, sagte sie.“
Lyrik wird gern nachgesagt, sie sei verstiegen und schwer zugänglich. Das gilt nicht für das Werk von Therese Chromik. Die gebürtige Schlesierin, die in der Lüneburger Heide aufgewachsen ist, findet für jedes ihrer Themen einen eigenen sprachlichen Ton und vermittelt dem Leser damit ein Gefühl ungeahnter Authentizität und Nähe.
Jetzt hat der Verlag Ralf Liebe einen Sammelband mit alten und neuen Texten von Therese Chromik herausgegeben. Der Titel, „Ich will glauben, es sei Sommer“, scheint wie das Spiegelbild ihrer Gedankenwelt. Zwischentöne sind es, die dem Werk von Therese Chromik das besondere Gepräge geben. Mit sanftem Nachdruck und großer sprachlicher Genauigkeit versucht sie den Dingen der Welt auf den Grund zu gehen.
Wie in „Äolmusik“: „Später will ich Wind sein“, schreibt Chromik in diesem Poem, „auf Fichtennadeln spielen / vielstimmig, begleitet vom Bass / der hohlen Stämme. / Das Schilfrohr will ich flöten / und mit den Wellen / lauf ich ans Ufer, / die Kiesel lass ich klingen. / Ich streiche die Saiten des Grases / und lege mein Ohr aufs Feld / und höre, was nachklingt im Boden, / Erdsinfonie. / Mit flacher Hand fühl ich / die gespannte Haut des Sees. / Ich lege mich / Wange an Wange.“
Seit 1983 publiziert Therese Chromik nun schon Gedichte. Gelegentlich kommen Prosatexte und Essays hinzu. Zwei ihrer zum Teil preisgekrönten Lyrikbände wurden bereits ins Polnische übersetzt. Bevor sie in Winsen an der Luhe und Husum als Lehrerin tätig war, studierte die gebürtige Liegnitzerin in Marburg und Kiel Philosophie, Germanistik, Geografie und Kunst – vier Disziplinen, die immer wieder auch in ihrem poetischen Werk anklingen. Und machnal gewährt Chromik dem Leser auch Einblicke in das Innenleben einer Autorin. Wie in dem Gedicht „Ordnung“: „Ordnung / die Illusion / dass alles / seine Richtigkeit hat / innen und außen / oben und unten / sortiert gestapelt / ausgerichtet alles / das Große und Kleine. / Ich der Richter / der Dinge / in meiner Einrichtung / innen und außen.
Therese Chromik – Ich will glauben es sei Sommer. Gedichte, Verlag Ralf Liebe; ISBN: 978-3-941037-50-2, 112 Seiten, 20 Euro.
Weitere Rezensionen zu diesem Band u.a.:
-Friesenanzeiger, Juni 2010;
-Winsener Anzeigen an Nachrichten
Husumer Nachrichten 30.Mai 2012. Seite HUN 13 Wieder Preis für Therese Chromik
Info des Verlages zu „Theorie und Praxis des Kreativen Schreibens“
Theorie und Praxis des Kreativen Schreibens
Reihe: Polnische Studien zur Germanistik, Kulturwissenschaft und Linguistik – Band 1
Erscheinungsjahr: 2012
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2012. 234 S., 19 Abb.
ISBN 978-3-631-63221-5 geb.
Über das Buch
Kreatives Schreiben wird vom Dichten durch die Gabe der Inspiration, die Fähigkeit, aus sich heraus innere Bilder hervorzubringen, abgegrenzt, oder nach Benn durch den «schöpferischen Keim». Der Dichter ist sein eigener Impulsempfänger. Beim Kreativen Schreiben will die Verfasserin durch Impulse von außen diesem Vorgang möglichst nahe kommen. Die Arbeit klärt zunächst theoretisch die Begrifflichkeit und den Forschungsgegenstand. In einem zweiten Teil wird die Theorie auf die Praxis angewendet, d. h. der kreative Prozess wird auf das Kreative Schreiben angewendet, um daraus die Bedingungen und Konsequenzen für das Kreative Schreiben in einer Schreibwerkstatt abzuleiten. Schließlich werden die Ergebnisse langjähriger Praxis vorgeführt, in der die Autorin mit verschiedenen Schreibgruppen die selbst aufgestellten Methoden mit den beschriebenen Impulsen und den kreativitätsfördernden Bedingungen umgesetzt hat. Es wird exemplarisch gezeigt, wie der Weg vom Impuls zum Gedicht aussehen kann, in welchen Arbeitsphasen ein Gedicht entsteht, welche Bearbeitungsstufen es geben kann. Damit nähert sich die Arbeit von der Praxis her der Frage, ob das kreative Schreiben bzw. das literarische Schreiben lehr- und lernbar sei.
Inhalt
Inhalt: Dichten und Kreatives Schreiben – eine theoretische Annäherung – Wie entsteht ein Gedicht? – Der kreative Prozess – Begriff der literarischen Kreativität – Von der Theorie zur Praxis. Was ist Kreatives Schreiben? – Der kreative Schreibprozess – Bedingungen für das Kreative Schreiben – Spielregeln in einer Schreibwerkstatt – Feedback – Kreativitätsfördernde Methoden – Impulse für kreative Schreibübungen – Methoden der Textbearbeitung – Vom Impuls zum Gedicht – Vom ersten Entwurf zum «fertigen» Gedicht – Bearbeitungsstufen – Gedichtbeispiele zu den Impulsarten – Erfahrungen – Erlernbarkeit des Kreativen Schreibens – Förderung – Forderung – Nutzen.
Autorenangaben
Therese Chromik, geboren 1943 in Liegnitz; Studium der Philosophie, Germanistik, Geographie und Kunst in Marburg und Kiel; Lehrtätigkeit an Gymnasien in Kiel und Husum; Leitung von Schreibwerkstätten; zahlreiche Veröffentlichungen; Lehraufträge an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Kiel; Abordnungen an das Kultusministerium und an das Institut für Praxis und Theorie der Schule als Fachleiterin in Deutsch; Mitglied der Jury des bundesweiten Wettbewerbs «Schüler schreiben»; seit 2000 Schulleiterin in Husum; Promotion in Wroclaw 2010; Mitherausgeberin des Jahrbuchs Euterpe und einiger Anthologien; ausgezeichnet mit zahlreichen Literaturpreisen.
ReihePolnische Studien zur Germanistik, Kulturwissenschaft und Linguistik. Bd. 1
Herausgegeben von Norbert Honsza
© 2010 Peter Lang Publishing Group
Ida Dehmel, ein Leben für die Kunst. Eine Biografie. Husum 2015, Husum Druck&Verlag, 112 S., ISBN, 6,95 €
ISBN978-89876-783-5
Eine Verneigung vor einer Frau, der es gelang, Dichter zu inspirieren und Dinge in Gang zu setzen, das ist der Autorin Therese Chromik mit ihrer etwa hundert Seiten umfassenden kleinen Biografie der Ida Dehmel, geb. Coblenz, gelungen.
Was wären wir ohne sie, die Frauen aus der Generation unserer Großmütter bzw. Urgroßmütter, die um die vorletzte Jahrhundertwende und in den ersten dreißig Jahren des 20. Jahrhunderts gegen den Strom schwammen? Sei es das aktive Eintreten für das Frauenwahlrecht, die Mitarbeit in den ersten Gewerkschaften, der Kampf um die Zulassung zum Hochschulstudium oder allgemein die Loslösung von den drei Ks der festgelegten Frauenrolle. Leicht hatten sie es nicht, die sogenannten Flintenweiber, Blaustrümpfe oder liderlichen Luder, falls es ihnen einfiel, selbst über Körper, Kinder und künstlerische Entfaltung – drei Ks der anderen Art- bestimmen zu wagen.
Weg vom Heiratsmarkt, bzw. nur schwer vermittelbar. Selbst Männer der Kunst waren da nicht immer verständnisvolle Partner, man denke an Rodin und Claude, hingegen soll Otto Modersohn seine Paula immer mit aller Kraft unterstützt haben. Andere konnten ein Lied von den Affären ihrer Bohemien-Gatten singen, so Frida Kahlo oder Picassos Frauen. Da hieß es: „Augen zu und durch!“ oder sich am Rande des Existenzminimums durchschlagen. „Teure Freiheit“, das lernte auch unsere Husumer Bohèmienne Fanny zu Reventlow, als sie sich in den Künstlerkolonien von Schwabing und in der italienischen Schweiz über Wasser halten musste.
Ida Coblenz war auch so eine, eine „gefährliche, lesende Frau“.
Anschaulich entwickelt Therese Chromik in ihrem kleinen, aber feinen Band „Ida Dehmel, ein Leben für die Kunst“ die Geschichte des großbürgerlichen Mädchens, das eine sehr bedeutende Rolle für die Entwicklung der Dichtung im Deutschland der ersten zwei Jahrzehnte des vergangenen Jahrhunderts haben sollte. Und nicht nur das. Aus einem wohlbehüteten und aufgeklärten jüdischen Elternhaus kommend, wurde ihr eine exzellente Bildung zuteil. Ihr Vater stammte aus Paris. Ihre Mutter verliert sie schon früh. Viel Autobiografisches konnte Therese Chromik immer wieder aus Ida Dehmels unveröffentlichtem Roman „Daija“ entnehmen und in Bezug zu ihrer Entwicklung in den unterschiedlichen Lebensphasen setzen. Das macht die kleine Biografie so authentisch und lebendig, man glaubt Ida Dehmel stellenweise selbst zu hören. Natürlich darf man diese Spiegelung ihres Lebens nicht mit der Realität eines „geheimen“ Tagbuches verwechseln. Das tut die Autorin keinesfalls, sondern verwendet zum Abgleich interessantes Material wie Idas Briefwechsel mit ihrem ersten Dichter- Verehrer Stefan George, mit ihrer Schwester Alice und mit dem Freund und Lyriker Alfred Mombert. Dazu diverse Biografien über Dehmel und seinen Freundeskreis, Zeitungsartikel und Ausstellungskataloge.
Der Leser erhält einen lebendigen Einblick in die Hamburger Kunstszene um die Jahrhundertwende und bis zum Ersten Weltkrieg.
Idas Affinität zur lyrischen Sprache macht sie nicht nur zur Muse eines Dichters. Nach George, den ihr Vater gesellschaftlich nicht akzeptiert, und dem sie sich auch nur geistig verbunden fühlt, heiratet sie auf Drängen des Vaters den Berliner Geschäftsmann Konsul Auerbach und entflieht so der Kontrolle ihres Vaters. Obwohl die 25-Jährige mit dem Reichtum ihres Gatten zum Mittelpunkt der Berliner Bohème wird, in deren Salon namenhafte Künstler sich mit mittellosen Neulingen treffen, ist sie in ihrer Ehe alles andere als glücklich.
Spannend, voller Emotionen und neuen Ideen verläuft ihr Leben weiter, besonders, nachdem sie sich in den Dichter Richard Dehmel verliebt. Nun, mehr soll hier nicht verraten werden. Nur noch eins: Ida spielt die entscheidende Rolle bei der Gründung der GEDOK (Gesellschaft für deutsche und österreichische Künstlerinnen), jener Künstlerinnenvereinigung, die 1927 aus dem Bund Hamburgischer Künstlerinnen hervorgeht und deren erste Vorsitzende sie wird, bis die Nazis sie 1933 absetzen. Dann brechen dunkle Zeiten an.
Therese Chromik möchte „mit dem Lebensbild der Ida Dehmel einen Beitrag zur Reflexion über die Rolle der Frau leisten und zugleich anregen, über die Wertschätzung und Notwendigkeit von Lyrik in der Gesellschaft zu reflektieren“. Das ist ihr zweifelsohne gelungen. Sowohl die widersprüchlichen Richtungen des Zeitgeistes ihrer Epoche, als auch der ganz individuelle psychologische Hintergrund der geschilderten Dichterpersönlichkeiten macht die Entstehung der Lyrik ihrer Zeit für ihre Leser nachvollziehbar. Ein wertvoller Beitrag zur Literaturgeschichte, der sich zudem wie ein spannender Roman liest.
Erschienen 2015 in Husum, Husum Druck- und Verlagsgesellschaft
Andrea Claussen
www.nordfriesland.de